„Aufgrund der negativen Realzinsen stehen alle Zeichen auf Investieren“

RLB NÖ-Wien Konjunktur- und Finanzmarktausblick mit WIFO-Chef Gabriel Felbermayr

Mitte Oktober fand der „Konjunktur- und Finanzmarktausblick“ der RLB NÖ-Wien statt: Zu Gast war WIFO-Chef Gabriel Felbermayr, der über die wirtschaftlichen Auswirkungen der geopolitischen Entwicklungen und den weiteren Konjunkturverlauf in Österreich sprach. Für den Wirtschaftsforscher stehen aktuell aufgrund der negativen Realzinsen alle Zeichen auf Investieren. Wachstumsraten in der Höhe von sechs Prozent, wie sie im 2. Quartal 2022 verzeichnet werden konnten, bezeichnet Felbermayr jedoch als „Nostalgie“. Seine Prognose zeichnet eine schwache Konjunkturerholung über die nächsten drei Jahre: „Bis 2026 wird das Wirtschaftswachstum gedämpft bleiben. Die Wachstumsraten werden deutlich kleiner ausfallen und unter zwei Prozent liegen.“
Rund 150 Unternehmer:innen nahmen an der Veranstaltung im Raiffeisenhaus Wien teil.

Heimische Wirtschaft ist resilient
Auf die Frage nach der Resilienz der österreichischen Wirtschaft betonte Felbermayr: „Die Unternehmen haben in der Pandemie Rücklagen gebildet und starteten heuer aus einer Situation der Stärke heraus. Mit diesem Schwung wird das zweite Halbjahr gut zu meistern sein.“

Die rückläufigen Rohstoffpreise tragen aktuell zu einer Entspannung der wirtschaftlichen Situation bei, zudem sei vor allem die heimische Industrie generell widerstandsfähig. „Wir sehen in Österreich nach wie vor keine Deindustrialisierung wie dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist“, so der Wirtschaftsforscher.

Weniger Vertrauen in die ökonomische Entwicklung haben jedoch die heimischen Konsumenten. „Aufgrund der hohen Inflation sind die Erwartungen der Konsumenten an die wirtschaftliche Entwicklung weit pessimistischer als jene der Unternehmen,“ so Felbermayr, der jedoch zugleich relativiert: „Die Menschen konsumieren aktuell trotz hoher Verbraucherpreise weiter.“

Nächste Jumbo-Zinsschritte erwartet
Im Juli 2022 erhöhte die EZB erstmals seit 11 Jahren die Zinsen im Euroraum. „Die Notenbanken weltweit gehen nun weiter aggressiv gegen die hohe Inflation vor. Von der EZB ist eine erneute Leitzinsanhebung um 75 Basispunkte am 27. Oktober 2022 zu erwarten,“ so RLB NÖ-Wien-Chefvolkswirtin Sylvia Hofbauer, die im Zuge der Veranstaltung die Finanzmärkte beleuchtete. Zur Entwicklung der Leitzinsen stellte Hofbauer weiters fest, dass ein weiterer Zinsschritt bereits Mitte Dezember 2022 um voraussichtlich 50 Basispunkte folgen würde.

Investitionen in Energie-Effizienz
Die RLB NÖ-Wien konnte in den ersten sechs Monaten eine gestiegene Nachfrage nach Krediten verzeichnen. „Wir sehen aktuell nicht, dass die Zinsschritte Unternehmen bei ihren Finanzierungsentscheidungen beeinflussen,“ berichtet GD Stv. Reinhard Karl, verantwortlich für das Kommerzkundengeschäft der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, aus den Kundengesprächen. Vor allem ökologische Investitionen stünden – nicht zuletzt aufgrund der enormen Energiepreisverwerfungen – auf der Agenda der Betriebe. Reinhard Karl: „Wir begleiten Unternehmen auf ihrem Weg in Richtung Klimaneutralität und bringen unsere Expertise auch als Mitglied der neu gegründeten Informationsplattform ´Energieforum Österreich´ ein.“

Was das Stimmungsbarometer bei den heimischen Unternehmen betrifft, ortet Karl keinen Pessimismus: „In unseren Beratungsgesprächen nehmen wir wahr, dass Unternehmerkunden vorsichtig sind. Dass Unternehmen jedoch eine Notbremsung durchführen, ist nicht erkennbar!“ Betriebe würden derzeit vor allem auf höhere Lagerbestände achten, um die Produktions- und Lieferfähigkeit zu sichern. Dies sei auch an der steigenden Ausnützung der Betriebsmittelfinanzierungen erkennbar.

Foto: GD-Stv. und Kommerzkunden-Vorstand Reinhard Karl, Chefvolkswirtin Sylvia Hofbauer, Moderator Michael Nikbakhsh und WIFO-Chef Gabriel Felbermayr

Credit: Roland Rudolph